Stephan Tchen über Geldverdienen und die Kaufkraft früher und heute.

Nein, der grosse Wirtschaftsboom fand nicht ab 1980 statt, diesen gab es vorher zwischen 1955 – 1975. Wenn Sie wissen warum, dürfen Sie hier aufhören zu lesen, ausser Sie interessieren sich so sehr für Zahlen. “Früher haben wir VIEL weniger verdient” – der Titel stimmt zwar, aber wie viel früher ist gemeint?

Sie können sich sicher noch an einige Aussagen Ihrer Eltern oder Grosseltern erinnern. Eine davon lautet:

Früher haben wir VIEL weniger verdient als ihr! Da kannst du froh sein, solch einen hohen Lohn zu haben.

Kennen Sie das? Während Ihre Eltern früher in der Lehre zwischen 100-200 CHF verdient haben, beschweren Sie sich wie tief Ihr Lehrlingslohn ist – etwa 500-800 CHF im 1. Lehrjahr. Wann immer Sie sich bei Ihren Eltern beschweren, hören Sie die obige Antwort. Es mag natürlich sein, dass Ihre Eltern weniger verdient haben, allerdings wird sehr oft übertrieben. Bewusst erwähnen Sie nicht, wie viel günstiger früher alles war.

Wussten Sie, dass sich das Preisniveau in der Schweiz in den letzten 50 Jahren um mehr als vervierfacht hat? Hier eine kleine Tabelle aus Wikipedia.

Berücksichtigt man die Inflation, sähe die Sache nicht mehr so offensichtlich aus, dass wir heute VIEL mehr verdienen. Alle Vorurteile, dass wir heute zu gut verdienen, würden zwar nicht unbedingt verschwinden, aber immerhin beschönigt werden. Man kann den Mythos auch umkehren:

Früher hatte man mit 500 CHF eine viel höhere Kaufkraft als heute.

Inflations-, Nominallohn- und Reallohnentwicklung

Hier haben wir Daten zur Entwicklung der Nominallöhne, der Konsumentenpreise und der Reallöhne. Bei den Zahlen handelt es sich um Index-Werte. Der Index fängt im Jahr 1945 bei 100 an. Die genauen Zahlen haben wir aus einer Excel-Tabelle des Bundesamtes für Statistik.

Kurze Erklärung:

Der Index fängt bei 100 an. Das heisst, wenn der Index z.B. auf den Wert 200 steigt, dann sind die Preise bzw. Löhne um das zweifache gestiegen.

In der Grafik ist ersichtlich, dass sich die Konsumentenpreise verfünffacht haben, während die Nominallöhne um das 15-fache gestiegen sind.

So kommen wir zum Schluss, dass sich der Reallohn zwischen 1945 und 2010 verdreifacht hat. Im Grunde genommen, bedeutet das, dass wir uns heute dreimal so viel leisten können wie die Leute damals von 1945.”Also hatten wir doch Recht. Ab 1980 sind die Löhne erst gewaltig gestiegen!“, meint jetzt die etwas ältere Generation – wir reden hier von 40-50-jährigen.

Die Antwort der heutigen Generation sollte sein: “Die Konsumentenpreise verhältnismässig aber fast gleichviel.” Leider wissen viele junge Leute darüber nicht Bescheid und können dieses Argument nicht entkräften.

Die Realität

Die Älteren werden uns wahrscheinlich auf die untenstehende Grafik hinweisen und erklären, dass der Wirtschaftsboom vor allem zwischen 1980 und 2010 stattgefunden hat. Der schwarze Bereich sagt alles aus.

Auf den ersten Blick sieht das nach einem massiven Anstieg unseres Wohlstands aus. Die Realität ist aber weit davon entfernt. Ja, wir geben zu, dass es uns heute besser geht. Der Unterschied von heute zu 1980 ist aber nicht massiv, man kann nicht einmal von gross reden. Die Leute von 1990 hatten sogar fast den gleichen Wohlstand wie wir heute. Als Beweis sehen Sie nachfolgend eine Grafik mit den gleichen Werten wie im Bild “Entwicklung des Nominallohns und der Konsumentenpreise”, jedoch mit einer logarithmischen Skalierung. Wenn Sie mehr über die logarithmische Skalierung erfahren möchten, können Sie sich z.B. hier informieren.

Die logarithmische Skalierung zeigt uns, die jährlich prozentuale Erhöhung der Nominallöhne und Konsumentenpreise. Hier ist ersichtlich, dass beide Werte zwischen 1980 und 2010 in etwa gleich schnell angestiegen sind. Wir haben die Zahlen anhand der Daten von ‘bfs.admin’ genau für Sie ausgerechnet und haben Folgendes festgestellt:

  • Zwischen 1980 und 2010 (Index-Werte 254 und 298) gab es eine Reallohnerhöhung um insgesamt 17.2%. Dies entspricht einer jährlichen Steigerung von 0.53%.
  • Zwischen 1990 und 2010 (Index-Werte 272 und 298) ist der Reallohn “nur” um 9.6% gestiegen. Dies entspricht einer jährlichen Steigerung von 0.46%.

Im Bild “Entwicklung des Reallohns” sehen Sie wie flach sich der Graph in der Zeitspanne von 1980 – 2010 verhält, im Gegensatz zu den vorherigen Jahren. Selbstverständlich haben wir bei der Berechnung der jährlichen Steigerung die Zinseszins-Berechnung angewendet.

Der eigentliche Zeitraum des Wirtschaftsbooms

Jetzt haben Sie gelernt, dass der ‘eigentliche Wirtschaftsboom’ nicht zwischen 1980 – 2010 stattfand, der Reallohn sich aber seit 1945 verdreifacht hat. Wann fand dann der entscheidende Wirtschaftsboom statt?

Klar, wir sagen nicht, dass die Wirtschaft zwischen 1980 und 2010 stagniert ist. Es ist offensichtlich, dass in den 80er Jahren ein Wirtschaftsboom stattfand bezüglich des Luxus. Die Technologie hatte sich entwickelt, es wurden viele Luxusgüter hergestellt etc. Aus dieser Sicht ist die Wirtschaft natürlich gewachsen, das kann man nicht bestreiten. Dank den 80ern kommen wir heute in den Genuss eine Laptops, iPhones etc.

Wir wollen aber der etwas älteren Generation klarmachen, dass sie es damals nicht viel schlechter hatten als wir heute. Wir reden hier von der Generation, die ab 1980 angefangen hat zu arbeiten. Wieso? Ihre Eltern gingen auch etwa im Alter von 16 in die Lehre. Wir gehen also davon aus, dass Ihre Eltern um die 1964 oder später geboren sind, und Sie dementsprechend so um die 20 Jahre alt sind. Trifft natürlich nicht bei jedem zu (schön wärs oder?). Es ist uns bewusst, dass sich unter Ihnen auch 40- oder 60-jährige Leser zu finden sind, aber es geht hier nur ums Prinzip.

In den 80er Jahren hat man das Geld auch aus dem Fenster geschmissen. Auf Preissteigerungen war man damals genau so wenig sensibel wie heute. Der einzige Unterschied liegt darin, dass wir heute innovativere Güter kaufen können. Nicht, weil wir heute so viel mehr Geld haben, sondern weil man früher in der Technik noch nicht so weit war.

Wir haben für Sie nachgerechnet:

Der eigentliche Wirtschaftsboom fand vor allem im Zeitraum von 1955 – 1975 statt. Hier stieg der Reallohn um 87.5% (Index 129 und 242), was einer jährlichen Steigerung von 3.19% entspricht. Die vermeintlich höchste jährliche Steigerung des Reallohns gab es zwischen 1958 – 1972 (Index 138 und 226), nämlich 3.58% pro Jahr.

Früher wurden Sie ständig von Ihren Eltern mit den gleichen Aussagen gequält. Jetzt können Sie Ihren Eltern sagen, dass sie mit ihrer Aussage “Früher haben wir VIEL weniger verdient” auf eine Art und Weise unrecht hatten – wir reden hier von der Zeitspanne 1980 – 2010. Auf der anderen Seite müssen wir natürlich zugeben, dass wir viel mehr Luxusgüter haben als vorher. Von dem her haben beide irgendwie Recht, da man so etwas nicht so einfach pauschalisieren kann. Es kommt drauf an, aus welcher Sicht man alles sieht.

 
Veröffentlicht am 10.11.2013
Autor: Dieser Beitrag wurde von Stephan Tchen verfasst.