Jährlich werden in der Schweiz rund 12‘000 Unternehmen neu gegründet. Die Entscheidung zur Selbständigkeit benötigt nicht nur eine grosse Portion Mut, sondern auch Kapital. Wer sich nicht als Berater oder Internet-Dienstleister ein neues Standbein aufbauen will, wird mindestens einige zehntausend Franken benötigen – für das Warenlager, für die Ladeneinrichtung, für die Entwicklung eines Produkts oder fürs Marketing. Hinzu kommt, dass viele Startups in der Anfangszeit wenig Umsatz erzielen, sodass auch noch ein Polster für die Deckung der privaten Lebenshaltungskosten vorhanden sein muss.

Gerade jüngere Menschen verfügen oft nur über wenige Ersparnisse. Ein Grossteil des Geldes steckt dank dem staatlichen Zwangssparen in der Pensionskasse. Da kommt es gerade recht, dass es für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit möglich irt, dieses Kapital zu beziehen. Wir erklären in diesem Artikel, wann dies möglich ist und welche Risiken es dabei zu beachten gilt.
 

Bedingungen zum Bezug der Pensionskasse für die Selbständigkeit

Um das Kapital aus der PK zu beziehen, müssen folgende drei Bedingungen erfüllt sein:
 

1. Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit

Hier gilt es, von der zuständigen regionalen AHV Ausgleichskasse eine Bestätigung einzuholen, dass man selbständig ist. Diese prüft anhand des Geschäftsmodells und der eingereichten Unterlagen, ob man als selbständig erwerbend gilt. In erster Linie geht es darum, dass man die Tätigkeit

  • unter eigenem Namen
  • auf eigene Rechnung
  • unabhängig
  • und auf eigenes finanzielles Risiko

ausführt. Anhaltspunkte dazu sind etwa

  • Beschäftigung von Angestellten
  • Gekaufte oder gemietete Betriebsmittel in grösserem Umfang (wie Maschinen oder Fahrzeuge)
  • Kauf von Material/Waren auf eigenes Risiko
  • Eigene Rechnungsstellung und Tragen des Inkassorisikos
  • Grössere Investitionen (Fahrzeuge, Geräte, Einrichtung)

Schlussendlich entscheidet die zuständige AHV-Ausgleichskasse. Wer umfangreichere Unterlagen mit einem Businessplan, einen Handelsregister-Eintrag, Arbeitsverträge von Angestellten, einen Mietvertrag für das Büro oder die Gewerberäumlichkeit, Kaufverträge für Rohmaterial, Visitenkarten, Prospekte und möglicherweise schon erste Kaufverträge oder Rechnungen an Kunden vorweisen kann, hat sicher gute Chancen, anerkannt zu werden.
 

2. Keine Unterstellung mehr unter die obligatorische berufliche Vorsorge BVG

Das bedeutet, dass man keiner Pensionskasse mehr angeschlossen sein darf. Es ist also nicht möglich, seine Pensionskasse zu beziehen, wenn man als Angestellter dem PK-Obligatorium unterstellt ist. Und das ist der Knackpunkt für viele angehende Selbständige: Denn wer eine Aktiengesellschaft (AG) oder eine Gesellschaft mit begrenzter Haftung (GmbH) gründet, gilt rechtlich gesehen als Angestellter – nämlich bei der AG / GmbH – und muss sich einer Pensionskasse anschliessen, wenn sein Brutto-Jahreslohn mehr als 22’050 Franken (Stand: 2024) beträgt.
Diese Bedingung schliesst auch aus, dass man mit einem signifikanten Verdienst weiterhin Teilzeit arbeitet und die Selbständigkeit „nebenbei“ startet und diese mit BVG-Geldern finanziert.

Jetzt ist es aber vielfach so, dass Neuunternehmer ihr finanzielles Risiko auf das in die Firma eingebrachte Kapital beschränken wollen und deswegen eine juristische Person gründen wollen. Hier gibt es eine Lösung. Man kann zuerst ein Einzelunternehmen oder eine Personengesellschaft (z.B. Kollektivgesellschaft) gründen, dann das Kapital aus der Pensionskasse beziehen und später das Geschäft in eine AG oder in eine GmbH umwandeln. Man muss allerdings tatsächlich für eine gewisse Zeit selbständig erwerbend gewesen sein, ansonsten riskiert man, dass das bezogene Kapital als Einkommen und nicht zum reduzierten Satz versteuert wird, es sei denn, man bringt das bezogene Kapital wieder in die zweite Säule ein. So waren in diesem Urteil des Bundesgerichts die obersten Richter der Meinung, dass gar keine Selbständigkeit bestanden hatte. Im Zweifelsfall sollte man bei seiner kantonalen Steuerverwaltung für grünes Licht nachfragen, bevor man seine Einzelfirma / Personengesellschaft in eine AG oder GmbH umwandelt.

 

3. Frist von 12 Monaten und Einwilligung Ehepartner

Weiter gilt es die Frist von 12 Monaten nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zu beachten. Ein späterer Kapitalbezug aus der Pensionskasse ist nicht mehr möglich – ausser man nimmt eine neue selbständige Erwerbstätigkeit auf. Zudem müssen verheiratete Neuunternehmer beachten, dass ihr Ehepartner der Auszahlung schriftlich zustimmen muss.
 

Das Risiko beim Bezug der PK für Jungunternehmer

Die zweite Säule ist dafür gedacht, nach der Pensionierung seinen gewohnten Lebensstandard beibehalten zu können. Einzahlungen (sowohl die ordentlichen via Lohnabzüge als auch freiwillige Einkäufe) sind von der Einkommenssteuer befreit. Das Kapital ist zudem von der Vermögenssteuer befreit. Erst bei der Auszahlung fällt eine geringe Steuer an.
 

Das Kapital kann im Alter fehlen

Um das Kapital möglichst fürs Alter zu erhalten, hat der Gesetzgeber die Möglichkeiten zum frühzeitigen Bezug stark eingeschränkt. Als eine der wenigen Möglichkeiten zur Auszahlung vor dem Pensionierungsalter gibt es den Gang in die Selbständigkeit. Die Idee ist, dass ein eigenes Geschäft etwas Bleibendes ist, das mit der Zeit auch an Wert zulegen kann. Dieser Weg ist jedoch mit grossen Risiken behaftet. Viele Jungunternehmer geben nach wenigen Jahren unfreiwillig ihr Geschäft wieder auf – oder gehen sogar Konkurs. In diesem Fall verlieren die gescheiterten Unternehmer ihr eingesetztes Kapital – private Ersparnisse und ihre Altersvorsorge.

Das grösste Risiko ist somit, dass man einen substanziellen Teil seiner Altersvorsorge mit dem „Projekt Selbständigkeit“ verlieren kann. Es gibt jedoch einige Möglichkeiten, um dagegen vorzusorgen oder um zumindest die Risiken zu senken.
 

Fundierter Businessplan – realistische Beurteilung des Geschäftsmodells

Bevor man überhaupt ins Unternehmertum startet, sollte man zumindest einen groben Businessplan erstellen. Gespräche mit Freunden, Unternehmern und Personen aus der angepeilten Nische helfen, die eigenen Wunschvorstellungen mit der Realität abzugleichen. Zur Selbständigkeit gehört eine Portion Mut. Aber man sollte sich nicht blauäugig in dieses Abenteuer stürzen.
 

Ausstiegsszenarien

Je nach Geschäftsidee ist es einfacher oder schwieriger, früher als geplant wieder auszusteigen. Wer einen Coiffeursalon an guter Lage eröffnet, wird es vermutlich einfacher haben, sein Geschäftslokal und das Mobiliar weiterverkaufen zu können als ein Jungunternehmer, der sein ganzes Kapital in eine Erfindung steckt und vor deren Marktreife aufgibt. Steigt man frühzeitig aus, so muss also je nach Geschäftsmodell nicht sein ganzes investiertes Kapital verloren sein. Ausstiegsszenarien im Hinterkopf zu haben ist aber in jedem Fall hilfreich, um sein Risiko zu senken.
 

Reduktion Kapitalbedarf

Je nach Geschäftsidee kann es möglich sein, zunächst mit einem geringeren Kapitalbedarf in die Selbständigkeit zu starten als ursprünglich vorgesehen. Entwickelt sich das eigene Unternehmen nicht wie geplant, sind die Verluste dann auch geringer. So könnte man z.B. darauf verzichten, gleich mit mehreren Angestellten zu beginnen. Oder man mietet/least Fahrzeuge, Maschinen oder Räumlichkeiten, statt sie zu kaufen. Oder man startet mit einem sehr kleinen Lager und bestellt die meiste Ware erst, wenn auch Bestellungen vorliegen. Die Möglichkeiten zur Reduktion des Kapitalbedarfs sind vielfältig. Gerade bei kapitalintensiven Geschäftsideen lohnt es sich, Experten in der Gründungsphase beizuziehen.
 

Alternative Wege zur Finanzierung

Das Risiko „Verlust seiner Altersvorsorge“ kann man auch senken, indem man auf andere Wege zur Finanzierung zurückgreift. Eigene Ersparnisse, die Säule 3a, ein Bankkredit oder ein Darlehen/ein Erbvorbezug von den Eltern sind mögliche Alternativen. In der Praxis stehen diese Möglichkeiten allerdings nicht immer zur Verfügung, oder sie sind entsprechend teuer: ein Bankkredit kostet ein Mehrfaches an Zinsen, als was man an Opportunitätskosten mit seinem investierten Kapital aus der zweiten Säule verliert. Setzt man hingegen bei einem Bankkredit bestehendes Vermögen als Sicherheit ein, können die Zinsen entsprechend tiefer ausfallen. So kann man ein bestehendes Wertschriftenportfolio (Aktien und/oder Obligationen) als Sicherheit hinterlegen und je nach Risikobeurteilung der Bank zu 60-80% des Wertes belehnen. Noch günstiger fällt der Zins aus, wenn man ein Haus oder eine Wohnung besitzt und dort die Hypothek aufstocken kann (bis 2/3 des Werts, ggf. bis 80% des Werts möglich). Die Hypothek sollte man allerdings aufstocken, solange man noch nicht selbständig ist, und für einen längeren Zeitraum. Sonst wird es schwierig, die Kriterien der Bank bezüglich Tragbarkeit zu erfüllen, weil man als Selbständiger ja noch ohne Leistungsausweis dasteht.
 

Rascher Wiederaufbau der Altersvorsorge

Auf jeden Fall sollte rasch nach Aufnahme der selbständigen Tätigkeit damit begonnen werden, das bezogene Alterskapital wieder anzusparen. Hier bietet sich insbesondere die Säule 3a an, mit welcher man als Unternehmer steuerbegünstigt bis zu 20% seines Einkommens (bis zu einem Maximalbetrag) fürs Alter beiseite legen kann. Gründet man später eine AG oder eine GmbH, dann kann man mit freiwilligen Einkäufen in die Pensionskasse ebenfalls Steuern sparen und gleichzeitig fürs Alter vorsorgen. Unter Umständen ist auch der freiwillige Anschluss an eine PK möglich und sinnvoll. Daneben gibt es noch eine Reihe von Versicherungsprodukten, bei welchen nicht nur Geld zur Schliessung der Vorsorgelücke angespart wird, sondern auch Risiken wie Tod oder Invalidität versichert und auch der Ehepartner oder Kinder abgesichert werden können.
 

Was, wenn nicht das gesamte PK-Kapital für die Selbständigkeit benötigt wird?

Je nach Art des Geschäfts, kann dieses mit wenig Kapital gestartet werden, z.B. im Bereich Dienstleistungen, wo je nach Geschäft ausser einem Telefon und einem Computer keine Investitionen getätigt werden müssen. Und hier hat der Gesetzgeber zu wenig weit gedacht. Denn die Pensionskasse kann nur als ganzes ausbezahlt werden, auch wenn man nur einen Teil davon benötigt. Somit besteht das Risiko, dass man bei einem Bezug plötzlich zu unverhofftem „Reichtum“ gekommen ist und dieses Geld ausgibt, statt es fürs Alter zu sparen, da ja auch via 3. Säule nur begrenzt grössere Beträge fürs Alter einbezahlt werden können.
Was kann man in einer solchen Situation tun? Wir empfehlen folgendes: Lassen Sie sich Ihr Vorsorgekapital von der Pensionskasse auf zwei Freizügigkeitskonten überweisen. Teilen Sie der PK vorgängig die gewünschte Aufteilung mit, sodass auf einem Konto so viel Geld ist, wie Sie für Ihr Start-Up benötigen werden. Dann beziehen Sie nur dieses Konto und lassen das andere Konto sicher fürs Alter stehen.